Heurigenkultur in Niederösterreich
Gspritzter, Blunzn, Buschenschank
Der Heurige verkörpert Gemütlichkeit, Genuss und Gastfreundschaft und ist ein Stück Kulturgut in Österreichs größtem Bundesland. Laue Spätsommer- und Herbsttage eignen sich perfekt, um im lauschigen Gastgarten mit einem Achterl Wein auf das gute Leben anzustoßen..
Wein und Niederösterreich – das war schon immer eine untrennbare Verbindung. Entlang des Donaulimes bewiesen bereits die Römer ihre Expertise bei der Rebveredelung und sorgten dafür, dass die Amphoren immer gut gefüllt waren. Schließlich galt ihnen ihr vinum als unverzichtbares Grundnahrungsmittel. Am 17. August 1784 erteilte Kaiser Josef II. „jedermann die Freyheit, die von ihm selbst erzeugten Lebensmittel, Wein und Obstmost, zu allen Zeiten des Jahrs, wie, wann und zu welchem Preise er will, zu verkaufen oder auszuschenken.“ Die Geburtsstunde des Heurigen war eingeläutet. Im Weinland Niederösterreich hat das historische Buschenschank-Patent des Kaisers mit kleinen Adaptierungen noch heute Gültigkeit. Demnach darf ein echtes Heurigenlokal nur Weine aus eigener Herstellung anbieten und das nur an 300 Tagen im Jahr.
Das Wort Heuriger bezeichnet übrigens sowohl den Wein der letzten Lese des Vorjahres, als auch die Lokalität, in dem ein Heuriger ausgeschenkt wird. Durch einen Föhrenbuschen über dem Lokaleingang wird den Gästen signalisiert: Wir haben geöffnet. „Ausg´steckt is“, heißt es dann in pittoresken Kellergassen, am Fuße steiler Terrassenweingärten oder im Schatten alter Kastanienbäume. Was ins Glas kommt, kann sich sehen lassen: Elegante Rieslinge mit dezenten Anklängen von Marille und Weingartenpfirsich oder feinwürzige Grüne Veltliner in der UNESCO-Welterbe-Region Wachau. International prämierte Lagenweine im Kremstal, Traisental, Kamptal oder am Wagram. Oder fruchtige Rotweine mit moderner Stilistik aus dem Carnuntum. Heute ist Niederösterreich mit rund 30.000 Hektar Rebfläche Österreichs größtes Weinbaugebiet.
Der Heurige: Institution des guten Lebens
Die einfachen Dinge sind oftmals die besten. Nirgendwo in Niederösterreich spürt man das so sehr wie beim Heurigen, einem Ort, an dem irgendwie alle gleich sind: Im lauschigen Garten oder in der gemütlichen Heurigenstube treffen einander Jung und Alt, Einheimische und Touristen, Freunde, Familie, Kollegen. Man sitzt an langen Heurigentischen auf nackten Holzbänken, plaudert, lacht und philosophiert über das Leben. Eine Hauptrolle am Tisch spielt naturgemäß der Wein, der gern als Achtel (0,125 Liter), als Gspritzter (Weinschorle) oder gmischter Satz (Wein aus unterschiedlichen Rebsorten) serviert wird. Die Kinder schlürfen einen Traubensaft. Dazu schmecken ein Wachauer mit Liptauer, knusprige Grammeln oder ein saftiger Kümmelbraten. Einfach, regional und gut. Savoir vivre auf Niederösterreichisch gewissermaßen.
Der Wienerwald: Wiege der Heurigenkultur
Die sonnenverwöhnten Hügel der Thermenregion südlich von Wien wurden schon vor 2000 Jahren für den Weinanbau genutzt. 1141 gründeten Zisterziensermönche des Stifts Heiligenkreuz inmitten der Weinberge das Freigut Thallern, eines der ältesten Weingüter Österreichs. Im 13. Jahrhundert erhielt das Gebiet das Privileg des „Leutgebens“ und durfte den Wein aus eigenem Anbau ausschänken. Die hohe Qualität von Weinen aus der Thermenregion sprach sich bis nach Wien zum österreichische Kaiserhaus herum und adelte die Winzer der Gegend zu k.u.k. Hoflieferanten. Man sagt, Kaiser Ferdinand I. habe beim Bau der Südbahn 1840 sogar eigens einen Tunnel graben lassen, um die edlen Rieden nicht in Mitleidenschaft zu ziehen. Mit der Bahn reist es sich auch heute noch bequem in die schönsten Heurigenorte vor den Toren Wiens, wie Mödling, Perchtoldsdorf oder Gumpoldskirchen. Beim Heurigen Spaetrot in Gumpoldskirchen kreiert Johanna Gebeshuber, mehrfach ausgezeichnet als Heurigenwirtin des Jahres, phantasievoll interpretierte Slow-Food-Schmankerl wie Frühlingsrollen mit Frühlingskräutersalat, Schweinsbackerl-Gulasch und Ofenbratl vom Spanferkel. In den modernen Gasträumen des alten Winzerhofs lassen sich spannende autochthone Sorten wie Rotgipfler und Zierfandler glasweise verkosten.
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Weinherbst: Die fünfte Jahreszeit
Wer das ganz Jahr über so fleißig arbeitet wie die Niederösterreichischen Winzer, darf auch einmal ordentlich feiern. Zahlreiche Kellergassenfeste von August bis Mitte November stehen im Zeichen des Rebensaftes und seiner Produzenten. Von den 1.100 Kellergassen Niederösterreichs liegen die allermeisten im Weinviertel. Eine der bekanntesten von ihnen: die Oagassen (Eigasse) in Falkenstein, wo man jährlich am 3. Septemberwochenende das Motto Wein-Kunst-Kultur ausruft. Zwischen den 65 historischen Presshäusern, die früher als Produktions- und Lagerstätten genutzt wurden, erklingt stimmungsvolle Livemusik und an den Kunsthandwerksständen findet sich das eine oder andere Weinviertel-Souvenir. Freitagabends erstrahlt die Kellergasse im Rahmen der der Romantischen Nacht zauberhaft im Kerzenschein. Am Samstag und Sonntag geht es ab Mittag – ausgerüstet mit einem Verkostungsglas – von Keller zu Keller, wo jede Winzerfamilie stolz ihre Weinkreationen ausschenkt und die kulinarischen Spezialitäten des Hauses auftischt.
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Mostheuriger: Das Beste von der Birne
Begünstigt vom milden Klima südlich der Donau reifen im Mostviertel rund 300 verschiedene Sorten Mostbirnen. Erstklassige Produzenten haben sich hier dem reinsortigen Birnenmost verschrieben, den man am besten direkt vor Ort bei einem der gemütlichen Mostheurigen an der Moststraße, im Pielachtal oder an der Eisenstraße verkostet. Die Palette der Mostkreationen ist bunt: Neben Mischmosten (Apfel und Birne) und Cuvees werden auch fantasievolle Mostvarianten wie Birnencider, Mostello, Birneneiswein oder Most-Radler kredenz. Dabei gilt es, sich an die Mostviertler Etikette zu halten, deren Hauptregel vorsieht, dass man sich beim Mosttrinken nicht zuprostet, sondern „G’sundheit“ wünscht. Das Gegenüber antwortet regelgerecht mit einem freundlichen „Sollst leben!“
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